Aktenzeichen: 5 U 115/14
Verkündet am: 27. Mai 2015
OBERLANDESGERICHT KÖLN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
der Frau ***
Klägerin, Berufungsklägerin und Anschlussberufungsbeklagten,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Brandl, Neusser Str. 182, 50733 Köln
gegen
Herrn Dr.***
Beklagten, Berufungsbeklagten und Anschlussberufungskläger,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ***
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 15. April 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. ***. den Richter am Oberlandesgericht *** und die Richterin am Oberlandesgericht ***
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 30. Mai 2014 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn — 9 0 481/12 — unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.624,58 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 19.09.2012 zu zahlen.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 489.45 Euro zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist. der Klägerin sämtliche weitere materiellen und unvorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen. welche aus der fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom 21. Juni 2011 bis 13. März 2012 resultieren, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in erster Instanz tragen die Klägerin zu 38 % und der Beklagte zu 62 %. die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 53 % und der Beklagte zu 47 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. In der Sache hat sie lediglich teilweise in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
Der Senat folgt ebenso wie das Landgericht dem Gutachten des Gerichtssachverständigen Dr. *** [schriftliches Gutachten vom 4. Oktober 2013 (BI. 98 — 107 d. A.) nebst mündlicher Erläuterungen am 7. Mai 2014 (S. 2 — 5 des Protokolls der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 7. Mai 2014. BI. 187 ff., 188 — 191 d AA und geht nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme aus den in der mündlichen Verhandlung am 15. April 2015 im einzelnen dargelegten Gründen sowie aus den zutreffenden und nicht weiter ergänzungsbedürftigen Gründen von S. 4/5 der angefochtenen Entscheidung davon aus, dass hinsichtlich der umstrittenen Behandlung des Zahnes 35 Behandlungsfehler nicht festgestellt werden können. dass dem Beklagten aber bei der umstrittenen Behandlung des Zahnes 32 grobe Behandlungsfehler unterlaufen sind, die zu einem verstärkten Knochenabbau im Bereich der Zahnwurzeln 31 und 32 sowie zu dem Verlust der Zähne 31 und 32 geführt haben.
Zum Ausgleich des immateriellen Schadens, den die Klägerin infolge der groben Behandlungsfehler des Beklagten erlitten hat. hält der Senat aus den in der mündlichen Verhandlung am 15. April 2015 im einzelnen dargelegten Gründen ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 Euro für angemessen. Denn bei der Schmerzensgeldbemessung ist zum einen neben dem Verlust des erheblich vorgeschädigten Zahnes 32 auch der Verlust des gesunden Zahnes 31 zu berücksichtigen, der nach den überzeugend begründeten Feststellungen des Gerichtssachverständigen Dr. *** auf die Behandlungsfehler des Beklagten zurückzuführen ist. Zum anderen ist bei der Bemessung des Schmerzensgeldes den Umständen Rechnung zu tragen. dass durch die groben Behandlungsfehler des Beklagten eine deutliche Verstärkung des Knochenabbaus in dem Bereich zwischen den Wurzeln der Zähne 31 und 32 verursacht worden ist. Zudem ist es zu einer geringfügigen Verstärkung der CMD-Beschwerden gekommen, unter denen die Klägerin bereits vor der umstrittenen Behandlung in erheblichem Umfange gelitten hatte. Unter Berücksichtigung insbesondere der vorgenannten Umstände hält der Senat einen Betrag in Höhe von 2.000 Euro für einen angemessenen Ausgleich für die durch die groben Behandlungsfehler des Beklagten verursachten immateriellen Schäden der Klägerin.
Im Rahmen des Ersatzes der materiellen Schäden kann die Klägerin von dem Beklagten die Erstattung der Kosten für diejenigen Nachbehandlungsmaßnahmen verlangen, die in adäquater Weise zu einer Beseitigung der Schäden führen, die die Klägerin durch die groben Behandlungsfehler des Beklagten erlitten hat. Für eine adäquate Schadensbeseitigung in diesem Sinne notwendig ist im vorliegenden Schadensfall entgegen der bei dem Beklagten offenbar bestehenden Vorstellung die tatsächlich bei der Klägerin in Bezug auf die Zähne 31 und 32 durchgeführte Behandlung. Bei dieser Beurteilung steht dem Senat durchaus vor Augen. dass der Gerichtssachverständige zu der Feststellung gelangt ist, dass für die Klägerin trotz der umstrittenen Behandlung mit den insoweit von ihm festgestellten groben Behandlungsfehlern und trotz der durch diese Fehler eingetretenen Folgen und insoweit insbesondere trotz der fehlerbedingt notwendig gewordenen Extraktion der Zähne 31 und 32 zwei Behandlungsalternativen zur Verfügung gestanden haben, nämlich die Implantatversorgung, die die Klägerin tatsächlich hat durchführen lassen, und die teleskopierende Brückenversorgung, die der Beklagte ausweislich seines [unstreitig nicht unterschriebenen] Heil- und Kostenplanes für die Klägerin geplant hatte. Es ist aber insoweit zum einen zu berücksichtigen, dass der Sachverständige darauf hingewiesen hat, dass für die Klägerin zwar trotz der Extraktion der Zähne 31 und 32 die teleskopierende Brückenversorgung eine angemessene und adäquate Versorgungsmöglichkeit und zugleich eine der besten Lösungen dargestellt habe, dass aber eine Implantatversorgung als festsitzende Versorgung stets und auch im Falle der Klägerin die beste, wenn auch aufwändigste Lösung darstelle. Und zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin infolge der groben Behandlungsfehler des Beklagten im Frontzahnbereich einen deutlich verstärkten Knochenabbau erlitten hat, und dass dieser Knochenabbau im Frontzahnbereich zu optischen Beeinträchtigungen geführt hat. die die Klägerin als Geschädigte nicht hinnehmen muss. Im Hinblick darauf erschöpft sich in dem vorliegenden Schadensfall eine adäquate Beseitigung der Schäden nicht ausschließlich in der Durchführung der günstigsten von den beiden medizinisch vertretbaren Behandlungsmöglichkeiten. Vielmehr hat die Klägerin Anspruch auf Erstattung der Kosten für diejenige Behandlung, die auch den genannten optischen Beeinträchtigungen am ehesten Rechnung trägt und damit insgesamt zu einer adäquaten Schadensbeseitigung führt. Und das ist bei der Implantatversorgung mit vorgreiflichem Knochenaufbau eher gewährleistet als bei der teleskopierenden Brückenversorgung.
Im Hinblick auf Vorstehendes ergeben sich im Rahmen einer Schätzung gemäß § 287 ZPO unter Berücksichtigung der Rechnungen des Nachbehandlers Dr. Dr. *** [Anlage K 3. K4 und K 5 (BI. 21 – 27 d. A.] erstattungsfähige Nachbehandlungskosten in Höhe von 2.324,58 Euro, die sich wie folgt ermitteln: Die als Anlage K 3 vorgelegte Rechnung vom 27. Februar 2012 [BI. 21 d. A.] bleibt außer Ansatz, weil sie sich auf Maßnahmen in Bezug auf die Zähne 14 und 16 bezieht. Die in der als Anlage K 4 vorgelegten Rechnung vom 23. April 2012 [i. v. m. dem Eigenlabor- und Materialbeleg vom 18. April 2012. BI. 22/23 i. V. m. 24 d. A.] ausgewiesenen Kosten sind im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zur Hälfte zu berücksichtigen, weil sich die in dieser Rechnung abgerechneten Positionen auf die Zähne 32 und 35 beziehen und lediglich die den Zahn 32 betreffenden Maßnahmen erstattungsfähig sind; somit ergibt sich aus dieser Rechnung ein zu erstattender Betrag von [323.75 Euro 2 =] 161,88 Euro. Aus der als Anlage K 5 vorgelegten Rechnung vom 21. September 2012 [i. V. m. dem Eigenlabor- und Materialbeleg vom 20. September 2012; BI. 25/26 i. V m. 27 d. A.] ergibt sich ein zu erstattender Betrag von 2.162,70 Euro; da sich die Rechnung überwiegend auf die Zähne 31 und 32 bezieht, sind die darin abgerechneten Kosten weitgehend zu erstatten; in Abzug zu bringen sind lediglich die beiden Positionen in Höhe von 161,96 Euro und 12.22 Euro, die sich auf die Zähne 34 und 36 beziehen, und ein Teil der in der Rechnung berücksichtigten Laborkosten von 887,47 Euro, weil diese sich nicht nur auf die Implantate in den Regionen 31 und 32, sondern auf insgesamt drei Implantate beziehen; den erstattungsfähigen Anteil dieser Kosten bemisst der Senat im Wege der Schätzung mit zwei Dritteln, so dass insoweit ein Betrag von [887.47 Euro : 3 =-] 295.82 Euro in Abzug zu bringen ist. Es ergibt sich somit aus der Rechnung vorn 21. September 2012 ein zu erstattender Betrag von [2.632,69 Euro – 161.96 Euro – 12.22 Euro – 295.82 Euro =] 2.162,70 Euro. Insgesamt ergeben sich als erstattungspflichtige Nachbehandlungskosten [161.88 Euro + 2.162,70 Euro =] 2.324,58 Euro.
Der Klägerin kann von dem Beklagten aus den in der mündlichen Verhandlung am 15. April 2015 dargelegten Gründen auch Zahlung von Ersatz der Kosten in Höhe von 300 Euro verlangen, die sie für das Privatgutachten des Zahnarztes Dr. *** aufgewandt hat. Denn trotz des Umstandes, dass Dr. *** zugleich als Nachbehandler tätig geworden ist, handelt es sich bei dem von diesem erstatteten Gutachten seinem Inhalte nach um ein in Zahnarzthaftungsstreitigkeiten übliches Parteigutachten und sind die dafür aufgewandten Kosten als angemessene Kosten der Rechtsverfolgung anzusehen.
Die erstattungsfähigen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten belaufen sich auf der Basis des gerechtfertigten Streitwertes von bis 5.000 Euro auf einen Betrag in Höhe von [Gebühr für einen Streitwert bis 5.000 Euro nach damals geltendem Recht: 301 Euro: 301 Euro x 1,3 = 391,30 Euro + 20 Euro = 411.30 Euro + 78,15 Euro (19 % MWSt.) =] 489,45 Euro.
Der zuerkannte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280, 286, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 sowie § 516 Abs. 3 ZPO, wobei bei der Ermittlung der Kostenquote für das Berufungsverfahren zu berücksichtigen war, dass der Beklagte seine Anschlussberufung nach dem Hinweis des Senates auf deren Unzulässigkeit vor dem Verhandlungstermin zurückgenommen hatte.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen. weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO hierfür nicht vorliegen. Die entscheidungserheblichen Fragen sind solche des Einzelfalls.
Die Schriftsätze der Klägerin vom 5. und 8. Mai 2015 und des Beklagten vorn 6. Mai 2015 [nebst der diesem Schriftsatz beigefügten Anlage (Stellungnahme des Beklagten persönlich)] bieten keine Veranlassung für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird wie folgt festgesetzt:
– bis zum 11. November 2014: 8.477.73 Euro:
von diesem Betrag entfallen auf die Berufung der Klägerin 6.877,73 Euro (4.250,00 Euro Antrag zu 1 Schmerzensgeld. soweit vom LG nicht zuerkannt 5000 Euro — 750 Euro (RA-Kosten Im Antrag zu 1 außer Ansatz) + 2.627,73 Euro Antrag zu 2.; materieller Schaden, soweit vom LG nicht zuerkannt 3.418,66 Euro — 490.93 Euro — 300 Euro 6.877,73 Euro) und auf die Anschlussberufung des Beklagten 1.600 Euro.
Ausgefertigt
Dr. ***